"The Big Sleep": ein träges Summen wie von einer Hummel, dann setzen mächtige Beats ein, verziert von zar tem Klavier. Auf dem gemächlich wummernden Bass macht es sich eine bekannte Stimme gemütlich, eine Art Erlösungsformel mantragleich repetierend: "Reality is no more good for you and me ..." - Nun, die Welt ist im Umbruch, Europa von sozialen Verwerfungen bedroht. Indes, das aus Richard Dorfmeister und Rupert Huber bestehende, international sehr erfolgreiche Downbeat-Duo Tosca übt sich auch auf seinem vierten Album in konsequenter Abwendung von der schnöden Realität, demonstriert, dass Zen und Kaiserschmarren perfekt zusammenpassen. Zwölf brandneue, luxuriös tönende Kleinodien wurden aus dem Werdegrund herüberbemüht und residieren nun auf einem Tonträger namens "J.A.C.". Die Ingredienzien sind von der gewohnten betörenden Flauschigkeit. Grund genug, die "Presse" in die heiligen Hallen einzuladen, in denen das Ingenium der beiden Soundtüftler in Vibration geriet. Das Studio, ausgestattet mit edlen Hölzern, stilvollen Lampen und feinen Ledersitzmöbeln, als perfekter Ort, die "splendid isolation", das schlimme Los der Erfolgreichen, zu leben. Die gedimmte Atmosphäre lässt auch das Bewusstsein mehrere Gänge zurückschalten. Nur ein gekonnt gebrauter italienischer Kaffee hält die Augendeckel in der Horizontale: "Eskapismus? Du hast es erfasst. So soll Musikmachen sein. Es soll ein Ausklinken aus dieser Steuer/Sozialversicherungswelt ermöglichen", sinniert Dorfmeister, während Huber, im Schimmer der an den Wänden hängenden Goldschallplatten sekundiert: "Unsere Musik ist wie ein Film, bloß ohne Bilder." Biedermeier? Na und! Das vorzüglich gelungene Album entfaltet den Charme eines mit Details belasteten Savoir Vivre. Etwa bei der Cover-Gestaltung, wo vor allem in die Vinyl-Edition investiert wurde. Huber: "Jetzt, wo bereits 20 Prozent unserer Umsätze von Download-Plattformen kommen, ist uns die Schallplatte besonders wichtig, weil sie die Königin der Tonträger ist. Diesmal ist sie in italienisches Kunstleder gehüllt!" Auch noch die winzigsten Klangpartikel sind bedacht gewählt, dienen der sozialen Distinktion. Die Verständigen erkennen ein immer sublimer gestaltetes Soundflechtwerk, wie es in dieser Güte kaum andere Jünger aus dem Stamme Downbeat zustande bringen. Die Unverständigen murren etwas von "arithmetischem Mittel aus Moby und Pink Floyd", Tosca sind kultivierte, höfliche Menschen, also entgegnen sie mit der Reserviertheit britischer Offiziere: "Wir nehmen das mit Pink Floyd als Kompliment." Und nach den Gesetzen des Popbusiness ist gewiss: Mögen auch Pink Floyd von allen Maschinenmagier-Bands am meisten out sein, der Tag wird kommen, wo sie wieder entsetzlich hip sind. Die Gezeiten des Marktes, die derzeit auch am Downbeat-Genre nagen, das mit inflationärem Output galoppierendes Desinteresse erzeugt, beunruhigen Tosca nicht. Huber: "Wir sind geeicht durch frühe Misserfolge." Dorfmeister: "Wir sind kaum fähig, uns etwas vorzunehmen. Wollten wir uns nach dem Markt richten, wäre ein Scheitern die Folge. Auch wenn wir mit dem Vorsatz ins Studio gehen, einen wummernden Uptempo-Track zu machen, kommt höchstwahrscheinlich etwas Verschlafenes dabei heraus. Wahrscheinlich sind wir der Sound, den wir machen." Die letzten Tracks von "J.A.C." klingen schon ziemlich verhangen, aber Tosca träumen von einem gänzlich beatfreien Album. Im Bann der Geräusch-Diktatur ihrer jeweiligen Säuglinge wollen sie sich möglichst nahe an die Stille heranarbeiten. Die Utopie eines "Einschlafalbums" pocht ihnen in den Adern. Doch bevor mit dem Hör-Schnuller gelockt wird, lädt man gemeinsam mit Mitstreitern wie MC Tweed, Graf Hadik, Chris Eckman, Diana Lueger und Hannes Strobl zur Live-Umsetzung des neuen Opus. Huber: "Da setzen wir vor allem auf das Chaos-Element. Die Sounds sollen brodeln und zusammenfallen wie einst bei Miles Davis in dessen ,Agharta'-Phase." Zwei der markantesten Stimmen des Projekts sind leider nicht dabei. Die ägyptische Vokalisten Samia Farah, die das Stück "Heidi Brühl" veredelte, arbeitet derzeit mit Adrian Sherwood in Paris und Rob Galliano a. k. a. Earl Zinger, der dem glatt groovenden Schnalzer "Superrob" mit rauer Stimme etwas Working-Class-Attitüde verleiht, ist ebenfalls verhindert. Dorfmeister entschuldigend: "Rob ist ja mit seiner ehemaligen Sängerin Valerie Etienne zusammen. Die ist jetzt mit Kylie Minogue auf Welttournee, singt Background Vocals und er musste mit, auf das gemeinsame Kind aufpassen." Wäre es nicht besser gewesen, Sänger einzuladen, die sich schon jenseits der Fertilität befinden? Dorfmeister schmunzelt: "Natürlich hätten wir versuchen können, große alte Jazzsänger für unser Projekt zu gewinnen, aber wir stehen auf diesen gewissen unseriösen Aspekt, den Leute wie Galliano und Graf Hadik einbringen. Rob macht als Earl Zinger jede Menge Unfug, und der Graf ist sowieso ein Anarcho. Bei ihm ist alles klar, weil gar nichts klar ist. Das schafft Spannung, und wir sparen uns, anders als Metallica, die Gage für den Psychiater. Aber nur, wenn er eine stabile Phase hat." original article at www.diepresse.com |
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